--RENATE ANDERL

RENATE ANDERLn

09.04.2025

Mehr als ein Drittel der Wienerinnen und Wiener im Wahlalter darf nicht wählen. Das ist ein großes Problem für unsere Demokratie und stellt ein erhebliches Hindernis für gelungene Integration dar.Mehr als ein Drittel der Wienerinnen und Wiener im Wahlalter darf nicht wählen. Das ist ein großes Problem für unsere Demokratie und stellt ein erhebliches Hindernis für gelungene Integration dar.Stellen Sie sich eine Schulklasse vor – 30 Kinder. Die Kinder mit österreichischem Pass dürfen ihre Klassensprecherinnen und Klassensprecher wählen, die anderen nicht. 10 Kinder bleiben ausgeschlossen, können sich nicht einbringen und müssen trotzdem mit allen Entscheidungen leben. Das klingt absurd, niemand würde das so machen. Diese Vorstellung verdeutlicht, dass Integration nicht gelingen kann, wenn Menschen ausgeschlossen werden – das ist das Gegenteil von Integration.Im laufenden Wiener Wahlkampf ist Integration ein großes Thema. Integration bedeutet viel mehr, als ständig über Regeln, Werte und Deutschkenntnisse zu reden. Natürlich gibt es Regeln und Werte, an die sich alle halten müssen, die in Österreich leben – egal, wo sie geboren sind. Aber Integration darf keine Einbahnstraße sein, sondern muss als Geben und Nehmen betrachtet werden. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit Integration gelingen kann.In Wien gibt es viele gute Projekte – wir sind 2025 Demokratiehauptstadt! Initiativen zur Mitgestaltung in Grätzln, Workshops für Vereine, Medienbildung und kulturelle Angebote sind wichtige Maßnahmen zur Förderung der Integration. Doch auch auf Bundesebene brauchen wir strukturelle Maßnahmen für Integration und Teilhabe. Der leichtere Zugang zur Staatsbürgerschaft ist ein wesentliches Instrument.Dies hängt auch mit der Diskussion über den Fachkräftebedarf zusammen. Wer in unser Land kommt, hier arbeitet, lebt, Steuern zahlt und Kinder in die Schule schickt, ist kein Tourist – diese Kolleginnen und Kollegen haben vor, hier zu bleiben. Sie tragen zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs bei und zahlen in den Steuertopf und die Sozialversicherung ein. Wenn wir ihnen im Gegenzug nichts bieten, werden sie nicht zu uns kommen. Wenn sie von demokratischen Prozessen ausgeschlossen werden, wenn wir signalisieren „Du darfst hier arbeiten, aber mitreden nicht“, werden sie sich nicht zugehörig fühlen und anderswo hingehen.Gerade unter den Arbeiterinnen und Arbeitern haben zwei Drittel kein Wahlrecht bei der Wiener Gemeinderatswahl. In manchen systemrelevanten Berufssparten dürfen sogar 80 Prozent nicht wählen. Bei den AK-Wahlen, Betriebsratswahlen und den Wahlen zur Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft spielt der Pass keine Rolle. Wir müssen in Österreich den Zugang zum Pass erleichtern, damit auch bei anderen Wahlen ein Großteil unserer Bürgerinnen und Bürger wählen kann.Erleichtern ist wirklich das richtige Wort – denn die aktuellen Bestimmungen machen es schwer, die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die Einkommensvoraussetzungen sind oft unerreichbar – auch für viele Menschen mit österreichischem Pass wären das unüberwindbare Hürden. Bis zu 3.000 Euro muss eine Familie mit Kind an Gebühren zahlen, dazu kommen Kosten für Übersetzungen, Beglaubigungen und Deutschkurse. Verfahren dauern zu lange und die Vorgabe eines Sprachniveaus von B2 ist unrealistisch.Für die Demokratie ist Teilhabe wichtig. Das erleichtert letztlich die Integration. Integration ist aber auch eine Bringschuld der Politik. Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger dieses Landes an der Demokratie teilhaben können. Es ist längst Zeit, dass das auch geschieht.

Ausgabe: 282 / 09.04.2025 / Gelecek Sayı / Nächste Ausgabe: 07.05.2025
Köşe Yazarları | Autoren
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