10.05.2023

Arbeiten wir, um zu leben, oder leben wir, um zu arbeiten?Arbeiten wir, um zu leben, oder leben wir, um zu arbeiten?
In Österreich und auch in anderen Ländern gibt es einen Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen. Dieser Mangel wird noch mehr werden, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus den 60ger Jahren und den 70er Jahren in Pension gehen. Wollen junge Menschen nicht mehr arbeiten, sind sie zu wenig qualifiziert? Es ist immer von Work-Life-Balance die Rede. Wir wollen weniger arbeiten und mehr vom Leben haben. Muss Arbeit immer ein notwendiges Übel sein oder kann sie auch Freude machen? 
In der frühen Menschheitsgeschichte mussten sich die Familien mit Nahrung versorgen, die Arbeit bestand aus Jagd und Sammeln von Früchten und anderen essbaren Naturprodukten. Nach der Entdeckung des Feuers musste jemand die Feuerstelle bewachen und aufpassen, dass das Feuer nicht ausgeht und sich auch nicht verbreitet und Unheil anrichtet. Über die Jahrhunderte hat sich die Arbeitsteilung entwickelt und Berufe sind entstanden. Die einen haben Werkzeuge hergestellt, andere haben die Felder bestellt und Häuser gebaut.
Die Menschen haben Tiere wie zum Beispiel Ochsen zur Bestellung der Felder eingeteilt. Später sind Maschinen erfunden worden, damit man viele Produkte in kurzer Zeit herstellen konnte, das Zeitalter der Industrialisierung begann. Riesige Fabriken wurden gebaut, in denen hunderte Menschen an einem Fließband gestanden sind und stundenlang denselben Handgriff gemacht haben. Dabei mussten sie sehr schnell sein, die Bezahlung war sehr schlecht. Außerdem sind viele Arbeiter krank geworden, wenn sie nicht mehr schnell genug waren, hat man sie einfach entlassen. Die Arbeitszeit war so lang, dass man wirklich nichts vom Leben gehabt hat, immer nur die gleiche monotone Arbeit. Das verdiente Geld hat meist nicht ausgereicht für ein gutes Leben der Familien.
Die Unterdrückung und Ausbeutung der arbeitenden Menschen haben zur Gründung von Gewerkschaften geführt, die für die Rechte der Arbeiter gekämpft haben. 
Es wurden Arbeiterbildungsvereine gegründet, die sich zusammengeschlossen haben und die sozialdemokratischen Parteien sind entstanden. Es ging immer um die Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen. Der Zugang zur Bildung und Weiterbildung wurde verbessert. Gesetzliche Schutzbestimmungen im Berufsalltag, Kündigungsschutz, Urlaub und Arbeitszeitverkürzung wurden durchgesetzt. Die Gewerkschaften kämpfen regelmäßig im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen für bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen.
Durch die Veränderung der Arbeitswelt in Richtung Einpersonenunternehmer entstand in der letzten Zeit eine neue Form der Ausbeutung vor allem im Zustellungsbereich. Die Lieferanten von Essen und Waren aller Art sind keine Angestellten mehr. Wenn sie krank werden oder das Fahrrad oder Auto kaputt wird, müssen sie selbst dafür aufkommen. Da brauchen wir neue gesetzliche Regelungen für gerechte Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.
Arbeit ist nicht wegzudenken aus unserem Leben. Viele Menschen fühlen sich in der Pension nicht mehr wohl. Es fehlt ihnen die Anerkennung, die man im Beruf immer wieder erfährt. Arbeit ist also weit mehr als eine Geldbeschaffungsmaßnahme. Arbeit gibt dem Alltag eine Struktur und vielen ein höheres Selbstwertgefühl. Jeder Mensch hat besondere Talente und viele setzen diese im Berufsleben um. Etwas Sinnvolles zu tun, das Ergebnis der Arbeit zu betrachten, erzeugt Zufriedenheit und manchmal auch Freude. Im Arbeitsleben findet man oft neue Freunde, soziale Kontakte mit Kollegen sind oft sehr bereichernd. Menschen sind soziale Wesen und keine Einzelgänger. Die meisten sind auch sehr stolz auf ihr Berufsleben.
Daher müssen wir als Gesellschaft daran arbeiten, dass ein gerechtes Einkommen und gute Arbeitsbedingungen eine Selbstverständlichkeit werden. Nur dann wird die Arbeit vom notwendigen Übel zur sinnvollen Lebensaufgabe.

Ausgabe: 277 / 08.11.2024 / Gelecek Sayı / Nächste Ausgabe: 11.12.2024
Köşe Yazarları | Autoren
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