09.08.2023
Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hat unlängst gesagt, dass sie die „normal Denkenden“ vertritt. Wie das genau gehen soll, ist unklar.Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hat unlängst gesagt, dass sie die „normal Denkenden“ vertritt. Wie das genau gehen soll, ist unklar.
Aber klären wir zuerst, was „normal“ eigentlich heißt. Wenn jemand ins medizinische Labor geht, um die Blutwerte und die Leber- und Nierenwerte bestimmen zu lassen, gibt es einen „Normbereich“. Dazu wird eine große Anzahl von Laborwerten von scheinbar Gesunden erhoben und ein Mittelwertbereich bestimmt. In diesem Bereich befinden sich 95 Prozent aller gesunden Menschen. Das heißt aber auch, dass die 5 Prozent, die außerhalb liegen, auch gesund sind. Der Grund dafür sind die zahlreichen biologischen Unterschiede zwischen den Menschen. Jeder Patient muss daher individuell behandelt werden.
Im technisch-industriellen Bereich ist es einfach. Da werden Normen festgelegt, zum Beispiel für die Eigenschaften eines Baustoffes und daran muss man sich halten.
Im alltäglichen Leben ist es komplizierter mit der Normalität. Wenn man der Meinung ist, die Mehrheit ist normal, dann fällt mir die schreckliche Nazizeit ein mit den jubelnden Massen in Wien 1938 am Heldenplatz.
In den Kinderheimen wurden Kinder und Jugendliche in erster Linie durch Misshandlungen durch in der NS-Zeit ausgebildete ErzieherInnen „erzogen“ und damit ihre Lebenswege zerstört. Das war offensichtlich „normal“. Wenn wir noch weiter zurückschauen in die Weltgeschichte, dann stoßen wir auf die Sklavenhaltergesellschaften und den Kolonialismus. Die sogenannten Entdecker aus den europäischen Ländern haben Menschen aus anderen Erdteilen ihre Lebensgrundlagen zerstört. Das war für die Mehrheit der Europäer offensichtlich normal.
Im Mittelalter wurden Frauen als Hexen verbrannt. Auch das war normal.
Aber kommen wir wieder zurück in die Gegenwart in Österreich. Glaubt Frau Mikl-Leitner wirklich, dass es eine einheitliche Mehrheit an Meinungen gibt, die sie als normal bezeichnen könnte? Oder ist es nicht vielmehr so, dass unterschiedliche Menschen zu unterschiedlichen Themen unterschiedliche Meinungen haben?
Man kann zum Beispiel für grundlegende Maßnahmen gegen den Klimawandel sein und gleichzeitig die Straßenklebeaktionen ablehnen. Man kann für strenge Regeln in der Nutztierhaltung sein und trotzdem Fleisch essen. Man kann trotz gesetzlicher Regelung gegen Sterbehilfe sein. Man kann gegen eine „Reichensteuer“ sein aber für eine Verpflichtung der Energiekonzerne, die Preise endlich zu senken.Im 15. Bezirk dürfen fast die Hälfte der EinwohnerInnen nicht wählen. Warum das? Weil sie keine Staatsbürgerschaft haben. Na dann sollen sie die Staatsbürgerschaft beantragen! Abgesehen von den furchtbaren Wartezeiten geht das für die Meisten nicht. Warum denn das? Weil man sich das nicht leisten kann. Weil man vom Nettogehalt nach Abzug von Miete und Kreditkosten noch monatlich über 1000 Euro übrighaben muss!!! Ist das normal?
Das heißt, dass zum Beispiel ganze Berufsgruppen, die unsere Stadt am Laufen halten niemals StaatsbürgerInnen werden können. Zum Beispiel die vielen Stationshelferinnen und das gesamte Reinigungspersonal im Spital hat keine Chance. Auch junge Menschen, die hier geboren sind und Ausbildung machen oder ein Studium haben keine Chance! Damit sollten wir uns ernsthaft beschäftigen. Diskussionen über Normalität erinnern an düstere Zeiten.
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